Polemik: Was wäre Österreich ohne Deutschland?

Im letzten Monat musste ich täglich 2.5 Stunden pendeln, was mir dank des Gratis-Qualitätsblatt heute erlaubte, einen tiefen Einblick in die österreichische Seele (oder vielmehr dessen, was Massenblätter dafür halten) zu nehmen. So kristallisierte sich mit jedem Tag deutlicher für mich heraus, welche Rolle Deutschland in der Selbstdefinition Österreichs als „constituting other“ (Stuart Hall) spielt, als der Gegenpart und die Kontrastfolie, anhand welche die eigenen Eigenschaften hervortreten können.

Das Heft vom 20.12.07 war besonders ergiebig.

Gutes Essen

Gleich auf Seite 3 wurde am offenen Herzen der Identität konventioneller (d.h. männerdominierter) westlicher Gesellschaftsgefüge operiert: Den Deutschen ist gutes Essen wichtiger als Sex!

Über die österreichischen Präferenzen erfährt man zwar nichts, aber die Schlussfolgerung ist implizit: Österreicher sind geiler, potenter, die besseren Liebhaber, Deutsche sind wamperte, träge Säcke.

Außerdem jammern die Deutschen eh zuviel – ein Topos, der immer wieder gerne beschwört wird. Entsprechend kann Österreich nur als Selbstbewusstseinssieger aus diesem Match hervorgehen:

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Übrigens hatte die EU dieser Tage entschieden, dass nur in Ö hergestellter Jagatee auch Jagatee heißen darf. Vergleichbar Getränke dürfen maximal vergleichbare Namen (z.B. Hüttentee, Hüttenpunsch) führen. Die Ö-Reaktion: Recht so! Waret jo no schena wonn die ondern olle a no an österreichischer Qualitätsware mitverdienen daden!

Aber was machen die Deutschen dann wieder? Lassen das Zeug in Ö herstellen und verkaufen es unter dem Namen Jagatee unter deutscher Marke.

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Dieses Beispiel offeriert gleich etliche Lektionen über die Ö/D-Beziehung: Deutsche wollen an den österreichischen Marken und Werten mitverdienen, wissen also, was die wert sind. Und außerdem scheuen sie dafür nicht mal vor Etikettenschwindel. Aber eins muss man ihnen lassen: Erfinderisch sind sie schon – wenn ihnen auch selbst die Ideen fehlen, wissen sie wenigstens, wie man österreichisches Kulturgut zum eigenen Vorteil einsetzt. Tsss!

Umgekehrt ist es in der Tat so: Die meiste Zeit ist Deutschland sich der Existenz von Österreich gar nicht bewusst. Ab und zu nimmt man verwundert zur Kenntnis, dass es der Wirtschaft dort ganz gut geht – was aber bedauerlicherweise nie zu politischen Analysen oder Erklärungen führt. Bayern geht’s ja auch besser, warum nicht auch Österreich? Muss wohl ganz gut sein im Süden. Darüber, dass die Jagateefrage sowas wie die Umgehung eines Verbots sein könnte, denkt wohl keiner nach. Sind schließlich eh Volksmitglieder, oder?

Eine Antwort zu “Polemik: Was wäre Österreich ohne Deutschland?

  1. Ach bitte, das war ein Boulevardblatt der übelsten Sorte. Hättest dir besser mal die Presse oder den Kurier gekauft.

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